Revolution

Alexanderplatz

Menschen laufen über den Alexanderplatz. Links ein öffentliches Toilettenhaus, rechts eine kleine Polizeistation. Eine Masse von Demonstrierenden ist auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin versammelt. Im Hintergrund befinden sich Hochhäuser.

Der Alexanderplatz 2022 und eine Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989.

ALEXANDERPLATZ

Viel Raum für freie Rede

Auf dem wichtigsten Platz Ost-Berlins kommen am 4. November 1989 Hunderttausende zusammen. Sie folgen einem Aufruf von Künstlerinnen und Künstlern, um für Meinungsfreiheit zu demonstrieren. Viele hoffen auf Demokratie und einen besseren Sozialismus in der DDR.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Vierzig Jahre lang ist Berlin als Hauptstadt der DDR Ort vieler staatlich organisierter Kundgebungen. Jugendliche in blauen Hemden marschieren mit roten Fahnen an den Mächtigen vorbei, zum letzten Mal am 6. Oktober 1989. Nur vier Wochen später, am 4. November, ist alles anders. Ostdeutsche versammeln sich aus eigenem Antrieb auf der Kreuzung Mollstraße/Karl-Liebknecht-Straße. Statt Fahnen tragen sie Schilder mit fantasievollen Sprüchen: "Stasi in die Produktion" oder "Stell Dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg". Über Stunden ziehen sie friedlich am Palast der Republik und dem Staatsratsgebäude vorbei. Manche stellen Kerzen vor diesen Machtzentralen auf. Ihr Ziel ist der Alexanderplatz, wo sich mindestens 200.000, vielleicht aber auch eine halbe Million Menschen versammeln. Am selben Ort hat die SED-Führung nur einen Monat zuvor hunderte Demonstranten verhaften und verprügeln lassen.

Diese größte Demonstration in der Geschichte der DDR haben Film- und Theaterschaffende angemeldet. Viele Menschen trauen sich teilzunehmen, weil sie offiziell genehmigt wird. Bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler lesen die Artikel der DDR-Verfassung zur Meinungs- und Pressefreiheit vor. Was das Recht bisher nur verspricht, soll nun Wirklichkeit werden. Die freie Rede erreicht von Ost-Berlin aus die gesamte DDR, weil Fernsehmitarbeiter die Kundgebung eigenmächtig übertragen.

Zu den 26 Rednerinnen und Rednern zählen auch vier Persönlichkeiten der neuen politischen Gruppen, die die Demonstration unterstützen. Auf die Rednerliste setzt das Organisationsteam außerdem zwei Spitzenvertreter der Staatspartei SED. Politbüromitglied Günter Schabowski und Markus Wolf, früherer Leiter der Auslandsspionage, versprechen einen Neuanfang. Das Publikum lehnt viele ihrer Äußerungen lautstark ab. Friedrich Schorlemmer vom neu gegründeten Demokratischen Aufbruch warnt vor Rachegefühlen: "Tolerieren wir nirgendwo Stimmen und Stimmungen der Vergeltung!" Eine Erneuerung der DDR könne nur gemeinsam mit der SED gelingen.

Viele Reden fordern den Dialog zwischen alten und neuen Kräften, freie Wahlen und einen erneuerten Sozialismus. Die Alleinherrschaft der SED müsse enden, die Überwachung durch die Staatssicherheit aufhören. "Rechtssicherheit ist die beste Staatssicherheit", steht auf einem Transparent. Manche Spruchbänder fordern Reisefreiheit; vom Fall der Mauer ist nicht die Rede, erst recht nicht von der Deutschen Einheit. Dieser Meilenstein der friedlichen Revolution wirkt wie der Aufbruch in eine neue DDR, den die Ereignisse aber bald einholen.

ALEXANDERPLATZ

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Hunderttausende Ostdeutsche versammeln sich am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, um für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit einzustehen. Künstlerinnen und Künstler haben zu dieser Großdemonstration aufgerufen. Organisatoren und Teilnehmende berichten vom Gefühl, etwas bewirken zu können.

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Intro
Gregor Gysi zur Genehmigung des Protests.
Mona Ambelang erinnert sich an die Aufbruchsstimmung.
Christa Wolf ist für eine schnelle Demokratisierung.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Alexanderplatz

Am 4. November 1989 findet auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin die größte Demonstration der DDR-Geschichte statt. Die Demonstrierenden fordern Meinungs- und Pressefreiheit und einen anderen Sozialismus.

ZEITZEUGE

Gregor Gysi

Die Idee für die Demonstration entsteht bei einer Versammlung im Deutschen Theater. Auch Rechtsanwalt und SED-Mitglied Gregor Gysi nimmt teil. Nachträglich erzählt er, warum er dort empfiehlt, die Protestveranstaltung offiziell anzumelden.

"Wenn eine solche Kundgebung genehmigt würde, auch wenn sie den Herrschenden nicht passte, aber wenn sie nicht mehr in der Lage sind, nein dazu zu sagen, dann ist es etwas offiziell Genehmigtes. Dann verlieren natürlich weitere 100.000 bis 200.0000 ihre Hemmungen dort hinzugehen, die sie bis dahin möglicherweise gehabt hätten. Ich habe ganz viele Leute vor dem 4. November getroffen, treue Mitglieder der SED, Leute in Funktionen, die sagten: Zu dieser Protestkundgebung gehe ich auch, weil es nun genehmigt war. Jetzt war es nichts Illegales mehr und gleichzeitig konnte man seinem inneren Wunsch nach Veränderungen auf diese Art und Weise Ausdruck verleihen. Deshalb glaube ich, ist es dann von allen doch die größte Kundgebung in der Geschichte der DDR geworden. Vor allen Dingen war es eben auch die erste, die nicht von oben kam, sondern die von unten organisiert war, aber wo das Oben nicht mehr nein dazu sagen konnte. Sie mussten sie genehmigen, was eben auch das Kräfteverhältnis zum Ausdruck brachte."

ZEITZEUGIN

Mona Ambelang

Mona Ambelang steht am 4. November 1989 inmitten der Menschenmenge. Sie erinnert sich, wie sehr sie die Aufbruchstimmung genießt.

"Ich fand diese Demonstration total klasse. Man hat sich so wohl gefühlt, weil so viele Menschen mit dem gleichen Ziel auf den Straßen waren, die eigentlich die DDR sicherlich noch haben wollten, aber eine andere DDR und so voller Elan waren. Auch die Reden, die dort geredet worden sind − auf dem Alexanderplatz, glaube ich, war das − die waren so hoffnungsvoll und man dachte: Jetzt passiert etwas. Jetzt haben wir die Fäden in der Hand und jetzt können wir machen und jetzt können wir entscheiden. Das war eine sehr eindrucksvolle Veranstaltung für mich."

ZEITZEUGIN

Christa Wolf

Unter den Rednerinnen und Rednern auf dem Alexanderplatz ist die Schriftstellerin Christa Wolf. Sie spricht sich für eine schnelle Demokratisierung aus.

"Jede revolutionäre Bewegung befreit auch die Sprache. Was bisher so schwer auszusprechen war, geht uns auf einmal frei über die Lippen. Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt laut zurufen: Demokratie jetzt oder nie! Und wir meinen Volksherrschaft, und wir erinnern uns der steckengebliebenen oder blutig niedergeschlagenen Ansätze in unserer Geschichte und wollen die Chance, die in dieser Krise steckt, da sie alle unsere produktiven Kräfte weckt, nicht wieder verschlafen."

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Adresse

Alexanderplatz
10178 Berlin
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