Transformation

Bahnhof Bülowstraße

Eine gelbe U-Bahn fährt aus dem überirdisch gelegenen Bahnhof Bülowstraße, rechts daneben befindet sich eine Straße mit Autos und Radfahrern.

Bahnhof Bülowstraße, 2023.

Der Hochbahnhof Bülowstraße mit Schriftzug Türkischer Basar, Gleisen und historischer Straßenbahn hinter einer Straßenkreuzung mit Fahradverkehr, Fußverkehr und Autos.

Türkischer Basar, Mai 1981.

BAHNHOF BÜLOWSTRAßE

Vom Rand in die Mitte der Hauptstadt

Der Bahnhof Bülowstraße ist seit 1980 der Treffpunkt türkeistämmiger Migrantinnen und Migranten in West-Berlin. Der Mauerfall und die Einheit verändern die Gegend grundlegend. Heute liegt die Bülowstraße mit ihren Galerien und Kunstmuseen mitten in Berlin.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Seine Lippen sind knallrot geschminkt, die Augen mit schwarzem Kajal nachgezogen. Er trägt einen schwarzen Anzug mit Pailletten und roter Fliege. Hatay Engin steht auf der Bühne im umgebauten Bahnhof Bülowstraße und singt mit Leidenschaft alte osmanische Lieder. Es ist ein ganz normaler Samstagabend im Türkischen Basar 1990. Es ist voll, laut und die Stimmung aufgedreht. Besucherinnen und Besucher singen, tanzen, lachen und prosten sich zu. Seit September 1980 ist der stillgelegte Bahnhof der wichtigste Treffpunkt für die türkische Community in West-Berlin. Die Musik im Türkischen Basar ist für viele ein Stück Heimat in der Fremde. Ebenso wie das türkische Essen, die Juweliere, die Plattenläden und die kleinen Teestuben.

Die Berliner Mauer hindert im August 1961 Menschen aus der DDR von heute auf morgen daran, in West-Berliner Betrieben zu arbeiten. Ihre Jobs übernehmen in der Folgezeit zahlreiche sogenannte Gastarbeiter, die vor allem aus der Türkei stammen. Der Bau der Mauer kappt auch Bahnverbindungen von West nach Ost. Der Bahnhof Bülowstraße wird geschlossen und steht leer. Ein Jahrmarkt auf der Hochbahnstrecke soll die Gegend beleben, doch erst das Projekt des cleveren türkischen Geschäftsmanns Atalay Özcakir ist erfolgreich. Im September 1980 eröffnet er den Türkischen Basar.

Dann ist es abermals die Mauer, die das Leben der türkischen Community verändert. Nach ihrem Fall im Herbst 1989 werden immer mehr Jobs in der Industrie abgebaut. Das trifft vor allem die migrantische Bevölkerung. Sie müssen sich im wiedervereinigten Deutschland neu orientieren. Für viele ist die Selbstständigkeit der Ausweg aus der plötzlichen Arbeitslosigkeit. Sie eröffnen Supermärkte, Restaurants, Läden. Und sie nutzen die neuen Möglichkeiten und die kurzen Wege in den Osten Berlins, um auch dort erfolgreich zu sein, wie Izzet Aydogdu. Ein selbstgebauter Imbisswagen vor dem Oranienburger Tor macht den türkeistämmigen Sozialarbeiter aus Kreuzberg kurzzeitig reich. Doch Izzet Aydogdu muss hart kämpfen für seinen Erfolg. Zwei Tage nach der Eröffnung des Imbisswagens wird er von Neonazis angezündet und niedergebrannt. Rassismus ist die türkische Community bereits in West-Berlin und der Bundesrepublik ausgesetzt. Doch in den Neunzigerjahren nehmen Gewalttaten und Anschläge enorm zu. Aydogdu lässt sich nicht entmutigen. Er macht weiter. Andere stellen sich die Frage, ob sie noch zu dem Land gehören, in dem sie leben. Eine Diskussion über Rassismus, Identität und Zugehörigkeit entsteht. In der Folgezeit werden Erinnerungen aus vielfältigen Perspektiven und die Auseinandersetzung mit der eigenen migrantischen Familiengeschichte in Filmen, Theaterstücken, Musik sicht- und hörbar.

Seit November 1993 rollen dort, wo dreizehn Jahre türkische Musik erklingt, wieder Züge. Der Bahnhof Bülowstraße verbindet abermals Ost und West. Vom Bahnsteig sind die vielen Graffitis und Galerien sichtbar. Heute kommen Touristen aus der ganzen Welt in den angesagten Kiez, um dort zu feiern. Die einstmals unsanierten Häuser in Mauernähe strahlen wieder und sind begehrt. Türkeistämmige Migrantinnen und Migranten prägen immer noch den Kiez. Die Kinder und Enkel der Generation, die im Türkischen Basar gefeiert haben, gehören heute ganz selbstverständlich in die Mitte Berlins.

BAHNHOF BÜLOWSTRAßE

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Der geschlossene Bahnhof Bülowstraße ist ein wichtiger Treffpunkt der türkischen Community in West-Berlin. Das Musikrestaurant des Türkischen Basars ist das größte und populärste der Bundesrepublik. Musikerinnen und Musiker, die dort aufgetreten sind, erinnern sich.

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Intro
Nihat Yarsaloglu spielt mit Begeisterung im Musikrestaurant.
Cavidan Ünal schwärmt von den Frauen im Basar.
Dede Deli ist vom plötzlichen Ende des Basars überrascht.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Bahnhof Bülowstraße

Der Türkische Basar wird 1980 im stillgelegten Jugendstil-Bahnhof Bülowstraße eröffnet. Er ist der Treffpunkt für türkeistämmige Migrantinnen und Migranten aus West-Berlin. Sie stillen an diesem Ort ihre Sehnsucht nach der alten Heimat. Im Türkischen Basar gibt es Juweliere, Teestuben und Supermärkte. Aber vor allem: Musik. Namenhafte Musikerinnen und Musiker treten dort auf und bringen Impulse aus West-Berlin in die türkische Musikszene.

ZEITZEUGE

Nihat Yarsaloglu

Der Musiker Nihat Yarsaloglu tritt in den Achtziger- und Neunzigerjahren im Musikrestaurant im Türkischen Basar auf. Oft spielt er mit seiner Band die ganze Nacht hindurch bis zum nächsten Morgen. Für ihn ist das Musikrestaurant und der Türkische Basar ein ganz besonderer Ort.

"Hier war alles voller Läden. Man ging die Treppen links und rechts hoch, in der Mitte gab es einen Dönerladen. Links und rechts gab es dann Juweliere, Friseure, Videotheken. Die eine Hälfte dieses Bahnhofs bestand aus Läden, die andere Hälfte war der Türkische Basar. Und ein Musikrestaurant. Es war das schönste Musikrestaurant Berlins, sogar Deutschlands. Ich habe viel im Westen gespielt, so ein Musikrestaurant habe ich nicht gesehen."

ZEITZEUGIN

Cavidan Ünal

Die Sängerin Cavidan Ünal schwärmt vom Türkischen Basar in Berlin. Sie ist durch die Bundesrepublik getourt und in vielen türkischen Musikrestaurants aufgetreten. Doch in Berlin ist die Stimmung anders – auch wegen der selbstbewussten Frauen.

"Es war eine zentrale Anlaufstelle für Türken. Wie sein Name es bereits sagt, ein Basar, Geschäfte, Juweliere, Dönerläden. Sie konnten dort alles kaufen, was Ihnen in den Sinn kam. Es gab drei Läden, die Video- und Audiokassetten verkauften. Es war immer rappelvoll dort. Wir hatten auch einen Friseur. Es war ein wunderbarer Ort. Mit Worten kann man es gar nicht beschreiben. Es war ein Erlebnis. Wenn man gelangweilt war, ging man da zwei Stunden hin, erledigte seinen Einkauf, flanierte, trank einen Kaffee oder Tee. Die Händler dort waren sehr zugänglich. Man konnte sich immer unterhalten. Ich bin in allen Städten Europas und Deutschlands aufgetreten. Berlin ist augenscheinlich anders. Das liegt daran, dass es hier mehr Türken gibt. Hier in Berlin gibt es eine Keksfabrik, eine Schokoladenfabrik und eine Fabrik für Fotoapparate. Dort haben nur Frauen gearbeitet. Hier gab es Frauen, die ihre Unabhängigkeit bewiesen hatten. Wenn am Wochenende 100 Männer zum Feiern kommen, dann kommen ebenso viele Frauen. Sie kommen, amüsieren sich und gehen. So ist die Szene hier. Im Westen habe ich das so nicht erlebt."

ZEITZEUGE

Dede Deli

Musiker Dede Deli steht im Türkischen Basar neben prominenten Musikerinnen und Musikern aus der Türkei auf der Bühne. Das Musikrestaurant zieht viele Besucherinnen und Besucher auch von außerhalb Berlins an. Das Ende des Türkischen Basars kommt für ihn sehr plötzlich.

"Atalay Özcakir war in der Türkei in der Musik- und Filmszene. Er hat den Türkischen Basar gegründet. Er hat viel dafür gearbeitet. Läden haben eröffnet: Juweliere, Videotheken. Er wurde zu einer großen Einkaufspassage und er ist auch sehr schön geworden. Es gab großes Interesse. Leute kamen aus dem Westen. Große Künstler sind dort aufgetreten. Wer nicht alles. Das Ende der Musikrestaurant-Szene kam plötzlich. Der Türkische Basar war weltberühmt. Er wurde geschlossen als die Mauer fiel. Dann hieß es: Das ist eine alte U-Bahn-Station. Die Bahn fährt wieder. Dann haben sie daraus wieder eine U-Bahn-Station gemacht, die Bülowstraße."

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Adresse

Bülowstraße
10783 Berlin

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