Die Grenzen sind offen, aber werden sie es bleiben? Der Drang, auf den Mauerfall zu reagieren, ist nach dem 9. November 1989 allgegenwärtig. Theater, Stadien, Konzertsäle in West-Berlin öffnen am Wochenende nach dem Mauerfall spontan ihre Veranstaltungen für Publikum mit DDR-Pass. Wer seinen Ausweis aus dem Osten vorzeigt, erhält freien Eintritt. Ein spontanes Festival in der Deutschlandhalle geht noch weiter: Freier Eintritt für alle! Am Sonntag, 12. November, findet das "Konzert für Berlin" statt. Das Gratis-Event unweit des Messegeländes in West-Berlin richtet sich an junge Menschen aus Ost und West.
"Dass wir jetzt so zusammen sind, das verdanken wir ja wohl den Demonstranten und der Demokratie-Bewegung in der DDR!", jubelt Udo Lindenberg und erhält überwältigenden Zuspruch aus dem Publikum. Der Künstler darf jahrelang nicht in der DDR auftreten, obwohl er sich seit 1976 dafür einsetzt, dort eine Tournee für seine Fans spielen zu dürfen. Nun, drei Tage nach dem Mauerfall, begrüßt ihn das Publikum aus Ost und West stürmisch. Besonders feiern sie ihn für Textpassagen, in denen er sich offen kritisch über die Diktatur im Osten äußert. Er schwört die Feiernden darauf ein, dass weitere Veränderungen kommen werden. Doch nicht alle sind überzeugt, dass die Mauer offen bleibt.
Die Situation an der Grenze ist noch so unsicher, dass das Organisationsteam das Festival vom Platz vor dem Reichstagsgebäude in die Deutschlandhalle verlegen muss. Drinnen statt draußen und weit weg von den Grenzsoldaten der DDR. Auf den Straßen ist es dennoch zu hören, denn unzählige Leute hängen ihre Radios aus den Fenstern und beschallen die Straßen mit der Live-Übertragung. So verbreitet sich auch die Nachricht über das Konzert. Es wird am Ende elf Stunden dauern und insgesamt gut 50.000 Leute anziehen, die über den Tag verteilt zur Halle kommen.
Mit dabei sind Stars aus aller Welt: Joe Cocker und die Toten Hosen gehören zu denen, die dafür ihre laufenden Tourneen unterbrechen. Nina Hagen, BAP und Udo Lindenberg sind allen aus dem Radio bekannt. Vor allem das Publikum aus dem Osten singt begeistert mit, als DDR-Bands wie Pankow, Silly und Die Zöllner an der Reihe sind.
Die gemeinsamen Auftritte der anwesenden Künstler sorgen für mitreißende Stimmung. Wird die Mauer erwähnt, tönt das Publikum im Chor: "Abreißen, Abreißen, Abreißen!" So haben die jungen Menschen aus der DDR die Hoffnung, dass es nicht das letzte Konzert war, bei dem sie sich mit Musikbegeisterten von der anderen Seite der Stadt in den Armen liegen. Ein Zusammenschnitt des Programms ist wenige Wochen später sogar bei der Berlinale zu sehen, so sehr trifft der Freudentaumel des Abends den Zeitgeist.