Transformation

Dong Xuan Center

Einfahrt zum Dong Xuan Centre zwischen zwei Gebäuden, davor eine Straße. Kopfsteingepflasterte Straße mit einem großen Backsteinindustriegebäude im Hintergrund. Davor laufen Personen. Rechts des Gebäudes fährt ein Auto aus einer Einfahrt.

Das Dong Xuan Center im Sommer 2023 und der Volkseigene Betrieb (VEB) Elektrokohle Lichtenberg, 1962.

DONG XUAN CENTER

"Klein Hanoi" in Lichtenberg

Viele Vietnamesinnen und Vietnamesen kommen ab 1980 als Vertragsarbeitende in die DDR und nach Ost-Berlin. Einige von ihnen arbeiten beim VEB Elektrokohle Lichtenberg. Heute befindet sich dort das Dong Xuan Center, der größte vietnamesische Markt Europas.

DIE GESCHICHTE HÖREN

00:00
00:00

Ein Industriegelände im Osten der deutschen Hauptstadt, am Horizont ragen Plattenbauten in den Himmel. Über der Zufahrt hängt eine rot-gelbe Leuchtreklame mit der Aufschrift "Dong Xuan Center". Kaum sind die gelben Torpfosten durchschritten, fühlen sich Besucherinnen und Besucher wie in Vietnam. Der Geruch von Bratnudeln und Reisnudelsuppe liegt in der Luft und es werden verschiedenste Waren aus Südostasien angeboten. Der älteste Markt Hanois ist das Vorbild des Dong Xuan Centers. Die Markthallen auf dem fast 24 Fußballfelder großen Gelände sind seit 2005 Anziehungspunkt für Menschen aus Berlin, Touristinnen und Touristen und ein Treffpunkt der vietnamesischen Community in Berlin.

Wo sich heute der größte vietnamesische Markt Europas befindet, produziert der VEB Elektrokohle Lichtenberg in der DDR Kohlebürsten für Industriemotoren. 1989 arbeiten dort - und in vielen anderen Volkseigenen Betrieben der DDR - rund 60.000 vietnamesische Vertragsarbeitende. Einige von ihnen haben heute im Dong Xuan Center ihr eigenes Geschäft.

Ab 1978 schließt die DDR Verträge mit sozialistischen Ländern wie Vietnam, um Arbeitskräfte anzuwerben. Eine Win-win Situation für beide Staaten: Produktionsengpässe in der DDR werden ausgeglichen und zwölf Prozent des Lohns fließen zur Entwicklung des sozialistischen Vaterlandes nach Vietnam. Der Aufenthalt ist auf vier bis fünf Jahre befristet, private Kontakte zur Bevölkerung der DDR sind nicht gern gesehen. Die Wohnheime, in denen die Vietnamesinnen und Vietnamesen oftmals auf nur 6 Quadratmetern wohnen, sind abgeschottet. Auch die Aufenthaltsregeln sind streng: Bei längerer Krankheit, Arbeitsunfällen und Schwangerschaft droht laut Vertrag die Rückreise nach Vietnam.

Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR mit dem Einigungsvertrag der Bundesrepublik bei. Die Wiedervereinigung Deutschlands nach über 40 Jahren Teilung betrifft auch die circa 100.000 Vertragsarbeitenden, von denen die größte Gruppe, rund 60.000, aus Vietnam kommt. Viele der Vertragsarbeitenden verlieren schon vor der Wiedervereinigung ihre Jobs, da DDR-Betriebe schließen. Damit müssen sie auch ihre Wohnheimplätze abgeben und haben von heute auf morgen keine Perspektive mehr in Deutschland. 16.000 vietnamesische Vertragsarbeitende bleiben nach der Wiedervereinigung. Andere nehmen Rückflugtickets und Prämien für eine freiwillige Ausreise an. Die Vietnamesinnen und Vietnamesen, die bleiben, sind in den Neunzigerjahren wiederholt rassistischen Gewalttaten und Angriffen ausgesetzt. Sie halten sich oftmals mit selbständiger Arbeit über Wasser, betreiben Restaurants, kleine Läden oder Nagelstudios. Erst 1997 – sieben Jahre nach der Wiedervereinigung – wird ehemaligen Vertragsarbeitenden das Daueraufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zugesprochen.

Nguyen Van Hien ist in der DDR Gruppenleiter im Baukombinat Ost in Potsdam, nach der Wiedervereinigung handelt er mit Textilien. "Es ging ums Überleben", so Nguyen Van Hien über die Zeit nach 1990. Er gründet sein erstes asiatisches Warenhaus in Leipzig, nennt es Dong Xuan Center. 2003 kauft er die Elektrokohle-Industriebrache an der Herzbergstraße in Lichtenberg und gründet zwei Jahre später das Berliner Pendant. "Lichtenberg ist die Hauptstadt der Vietnamesen in Deutschland", so Nguyen Van Hien.

DONG XUAN CENTER

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Zu DDR-Zeiten leben in Lichtenberg viele Vietnamesinnen und Vietnamesen als Vertragsarbeitende. Menschen, die diese Phase miterlebt haben, berichten von ihren Erlebnissen und den Veränderungen durch die Deutsche Einheit.

00:00
00:00
Intro
Tamara Hentschel hilft den Vertragsarbeitenden nach dem Mauerfall.
Thu Fandrich fühlt sich im Dong Xuan Center zuhause.
Nguyen Thi Ouynh spricht über ihr Verständnis von Heimat.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Dong Xuan Center

Vietnamesinnen und Vietnamesen sind ein selbstverständlicher Teil Lichtenbergs. Viele von ihnen sind als Vertragsarbeitende in die DDR gekommen oder deren Nachfahren. Ihre Erfahrungen mit Wiedervereinigung und Rassismus wirken bis heute nach und prägen ihren Alltag und ihre Identität.

ZEITZEUGIN

Tamara Hentschel

Tamara Hentschel, arbeitet seit 1987 mit und für Vietnamesinnen und Vietnamesen und gründet 1990 die erste Beratungsstelle in Berlin. Sie berichtet darüber, wie der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung das Leben der vietnamesischen Vertragsarbeitenden verändert hat.

“Mit welchen Rechten, mit welchen Pflichten können sie hierbleiben, können sie nicht hierbleiben. Viele Betriebe haben ihre Vertragsarbeiter über die Möglichkeiten des Hierbleibens gar nicht informiert. Die Wohnheime wurden geschlossen. Also es war ein totales Chaos. Für alle Vertragsarbeiter war die Wende eine höchst traumatische Situation. Nach dem Fall der Mauer ging es gleich los mit rassistischen Übergriffen, sodass man sich nicht mehr getraut hat, auf die Straße zu gehen abends. Sodass Betriebe ihre Vertragsarbeiter, die noch beschäftigt waren, im Betrieb haben schlafen lassen.”

ZEITZEUGIN

Thu Fandrich

Thu Fandrich kommt im April 1987 als Vertragsarbeiter in die DDR. Für sie ist das Dong Xuang Center ein besonderer Ort in Berlin.

“Hier im Dong Xuan, das ist ein Ort, wo die Vietnamesen auch einkaufen können. Lebensmittel einkaufen, sich treffen, essen und unterhalten. Das ist schon ein Vorteil für uns Vietnamesen. Damit man sich nicht alleine fühlt. Das heißt, wir können uns öfter mal miteinander verabreden. Oder auch mal am Wochenende, sagst du, ok, wir treffen uns hier und da. Das ist viel schöner, als wenn man zu weit auseinander wohnt. Und man fühlt sich so wie zuhause.“

ZEITZEUGIN

Nguyen Thi Ouynh

Nguyen Thi Quynh wird 1983 in Vietnam geboren. Ihre Eltern arbeiten in der DDR als Vertragsarbeitende und holen sie 1991 nach Berlin. Sie erzählt, was für sie Heimat bedeutet.

„Ich sehe mich immer als „Vietlinerin“, also Vietnam und Berlinerin. Ich kann mich auch nicht genau entscheiden, wo ich mehr Heimatgefühle habe. Momentan natürlich hier in Deutschland. Aber meine Gedanken sind noch oft in Vietnam. Wenn man Zuhause ist und die Eltern sprechen Vietnamesisch mit einem, dann fühlt man sich schon so ein bisschen zwiegespalten. Meine Kinder sagen zum Beispiel, wenn ich Vietnamesisch mit ihnen spreche und sie mich manchmal nicht verstehen: "Kannst du nicht mal unsere Sprache sprechen?". Unsere Sprache, also die Sprache, die sie in der Kita oder in der Schule sprechen, Deutsch. Und das ist halt die dritte Generation. So sind die: Deutsch.“

Erinnerungen schließen

DENKMAL FÜR DIE ERMORDETEN JUDEN EUROPAS

Orte in der Nähe

Entdecken Sie weitere Orte zu den Themen Revolution, Einheit und Transformation in der Umgebung. Die Orte auf der Karte sind weniger als 2 Kilometer entfernt. Setzen Sie die Erkundungstour durch Berlin fort.

Adresse

Herzbergstraße 128-139
10365 Berlin

ORTE DER EINHEIT

Themen erkunden

Der Kampf um Freiheit in der DDR, die Verwirklichung der Deutschen Einheit, das Zusammenwachsen Berlins – vertiefen Sie eins von drei Themen.

Google Maps temporär zulassen
Meine Favoriten
Kulturbrauerei
Berlin
Tränenpalast
Berlin