Ein Industriegelände im Osten der deutschen Hauptstadt, am Horizont ragen Plattenbauten in den Himmel. Über der Zufahrt hängt eine rot-gelbe Leuchtreklame mit der Aufschrift "Dong Xuan Center". Kaum sind die gelben Torpfosten durchschritten, fühlen sich Besucherinnen und Besucher wie in Vietnam. Der Geruch von Bratnudeln und Reisnudelsuppe liegt in der Luft und es werden verschiedenste Waren aus Südostasien angeboten. Der älteste Markt Hanois ist das Vorbild des Dong Xuan Centers. Die Markthallen auf dem fast 24 Fußballfelder großen Gelände sind seit 2005 Anziehungspunkt für Menschen aus Berlin, Touristinnen und Touristen und ein Treffpunkt der vietnamesischen Community in Berlin.
Wo sich heute der größte vietnamesische Markt Europas befindet, produziert der VEB Elektrokohle Lichtenberg in der DDR Kohlebürsten für Industriemotoren. 1989 arbeiten dort - und in vielen anderen Volkseigenen Betrieben der DDR - rund 60.000 vietnamesische Vertragsarbeitende. Einige von ihnen haben heute im Dong Xuan Center ihr eigenes Geschäft.
Ab 1978 schließt die DDR Verträge mit sozialistischen Ländern wie Vietnam, um Arbeitskräfte anzuwerben. Eine Win-win Situation für beide Staaten: Produktionsengpässe in der DDR werden ausgeglichen und zwölf Prozent des Lohns fließen zur Entwicklung des sozialistischen Vaterlandes nach Vietnam. Der Aufenthalt ist auf vier bis fünf Jahre befristet, private Kontakte zur Bevölkerung der DDR sind nicht gern gesehen. Die Wohnheime, in denen die Vietnamesinnen und Vietnamesen oftmals auf nur 6 Quadratmetern wohnen, sind abgeschottet. Auch die Aufenthaltsregeln sind streng: Bei längerer Krankheit, Arbeitsunfällen und Schwangerschaft droht laut Vertrag die Rückreise nach Vietnam.
Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR mit dem Einigungsvertrag der Bundesrepublik bei. Die Wiedervereinigung Deutschlands nach über 40 Jahren Teilung betrifft auch die circa 100.000 Vertragsarbeitenden, von denen die größte Gruppe, rund 60.000, aus Vietnam kommt. Viele der Vertragsarbeitenden verlieren schon vor der Wiedervereinigung ihre Jobs, da DDR-Betriebe schließen. Damit müssen sie auch ihre Wohnheimplätze abgeben und haben von heute auf morgen keine Perspektive mehr in Deutschland. 16.000 vietnamesische Vertragsarbeitende bleiben nach der Wiedervereinigung. Andere nehmen Rückflugtickets und Prämien für eine freiwillige Ausreise an. Die Vietnamesinnen und Vietnamesen, die bleiben, sind in den Neunzigerjahren wiederholt rassistischen Gewalttaten und Angriffen ausgesetzt. Sie halten sich oftmals mit selbständiger Arbeit über Wasser, betreiben Restaurants, kleine Läden oder Nagelstudios. Erst 1997 – sieben Jahre nach der Wiedervereinigung – wird ehemaligen Vertragsarbeitenden das Daueraufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zugesprochen.
Nguyen Van Hien ist in der DDR Gruppenleiter im Baukombinat Ost in Potsdam, nach der Wiedervereinigung handelt er mit Textilien. "Es ging ums Überleben", so Nguyen Van Hien über die Zeit nach 1990. Er gründet sein erstes asiatisches Warenhaus in Leipzig, nennt es Dong Xuan Center. 2003 kauft er die Elektrokohle-Industriebrache an der Herzbergstraße in Lichtenberg und gründet zwei Jahre später das Berliner Pendant. "Lichtenberg ist die Hauptstadt der Vietnamesen in Deutschland", so Nguyen Van Hien.