"Drei Zivilisten und ein Polizist kamen auf uns zu. Bevor sie etwas tun konnten, schrie ich aus Leibeskräften: 'Nicht schlagen, ich bin schwanger.' Ich duckte mich mit dem Bauch zur Wand, mein Freund schützte mich von hinten, doch sie schlugen zu viert brutal auf uns ein." So berichtet eine junge Frau von dem Wochenende, an dem die DDR ihren 40. Jahrestag begeht.
Geleitet wird der Einsatz der Staatsmacht gegen friedliche Demonstrierende vom Haus des Lehrers am Alexanderplatz aus. Von dort überblicken Geheimdienstoffiziere den Platz und das Geschehen. Der Alexanderplatz ist im Revolutionsjahr 1989 ein Ort der Auseinandersetzungen. Regimegegnerinnen und -gegner versuchen dort mehrfach, jeweils am Siebten des Monats gegen das offizielle Ergebnis der Kommunalwahl vom 7. Mai zu protestieren. Damals haben unabhängige Beobachter massive Fälschungen festgestellt. Die Staatssicherheit beendet die Aktionen gewaltsam.
Am 7. Oktober fällt der Wahlprotest genau auf das 40. Gründungsjubiläum der DDR. An diesem Tag zählt auch Michail Gorbatschow zu den Ehrengästen, die im Palast der Republik mit allem Pomp begrüßt werden. Der sowjetische Staats- und Parteichef hat in den vergangenen Jahren begonnen, sein Land zu reformieren und den Menschen in begrenztem Umfang Freiheitsrechte zu gewähren. Für viele Enttäuschte in der DDR ist er ein Hoffnungsträger. So verbindet sich der Wahlprotest mit einer spontanen Demonstration. Mehrere Tausend streben zum nahen Palast der Republik und zu Gorbatschow. Die Menschen rufen "Freiheit, Freiheit", "Gorbi hilf" oder "Wir sind das Volk". Uniformierte versperren die Spreebrücken, die zum Palast führen. Der Zug bewegt sich daraufhin zur Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg, wo sich seit einigen Tagen Menschen zu Andachten für verhaftete Protestierende einfinden.
Zwischen Alexanderplatz und Gethsemanekirche prügeln Polizisten ohne Anlass auf Demonstrantinnen und Demonstranten ein und zerren sie auf Lastwagen. Oft greifen sie auch Passanten oder Anwohner auf, darunter manches SED-Mitglied. Die sogenannten "Zugeführten" werden zunächst auf Polizeirevieren in der Nähe festgehalten, dann werden sie ins Gefängnis Rummelsburg oder in weiter außerhalb gelegene Polizeidienststellen gebracht. Sie müssen stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen. Aufgehetzt durch Vorgesetzte oder durch Gerüchte, misshandeln und erniedrigen Polizeikräfte die Festgenommenen.
Über 1.000 Menschen machen an diesem Wochenende die Erfahrung, den "bewaffneten Organen" ausgeliefert zu sein. 58 Verletzte müssen in Krankenhäusern behandelt werden, Hunderte weitere tragen Spuren der Polizeiknüppel. Doch die Gewalt kann den SED-Staat nicht retten. Trotz dieser Berichte strömen auf der Montagsdemonstration am 9. Oktober in Leipzig Zehntausende zusammen. Ende Oktober 1989 muss er einer Untersuchungskommission zu den Polizeieinsätzen in Ost-Berlin zustimmen. Sie deckt auf, dass es, anders als behauptet, keineswegs zu Gewalt gegen die Polizei kam. Das Gremium kann aber nicht verhindern, dass die Gerichte nur wenige, noch dazu milde Urteile gegen die Täter in Uniform verhängen. Das gilt für jene auf der Straße ebenso wie für die Befehlsgeber im Haus des Lehrers.