Menschenmassen tummeln sich in den frühen Morgenstunden des 10. November 1989 vor dem großen Eingangstor des Kaufhauses des Westens am Tauentzien – kurz KaDeWe. Manche warten schon seit Stunden in der Novemberkälte darauf, dass der glamouröse Konsumtempel öffnet. Sie wollen an diesem Tag die Ersten aus der DDR sein, die einen Blick auf die bislang unerreichbare bunte westliche Warenwelt werfen.
Am Abend zuvor fällt die Mauer. Die ganze Nacht hindurch feiern Menschen aus dem Osten der Stadt gemeinsam mit Westberlinerinnen und Westberlinern rund um den Ku’damm und das KaDeWe. Kneipen reagieren teilweise mit spontanen Sonderangeboten, wie ein Bier für eine Ostmark. Die Menschen jubeln und feiern bis es dämmert. Dann öffnen die Läden der West-Berliner Shoppingmeile.
Das KaDeWe bereitet sich am Tag nach dem Mauerfall schnell auf den Ansturm aus der DDR vor. Allen wird nach der aufregenden ersten Nacht in West-Berlin zunächst eine kostenlose Tasse Kaffee zum Aufwärmen serviert. Dann bestaunen die Besuchenden ungläubig das Angebot in den Auslagen.
In der DDR herrscht Mangelwirtschaft. Offiziell verspricht Staatschef Erich Honecker den Konsumsozialismus mit einem hohen Lebensstandard. Doch faktisch fehlt es an vielem wie Fernsehern, Fotoapparaten oder Haushaltsgeräten. Während der Grundbedarf meist gestillt wird, sind hochwertige Produkte knapp. Der Westen wird in den Köpfen zum Sehnsuchtsort.
Seit 1970 bekommt jede und jeder Ostdeutsche bei der Einreise in die Bundesrepublik Begrüßungsgeld. 1988 wird es auf 100 DM erhöht und kann einmal im Jahr beansprucht werden. Nach dem Mauerfall jedoch bilden sich rasch lange Schlangen vor den Banken. Viele wollen das Geld schnell ausgeben und sich lang gehegte Wünsche erfüllen. Beliebt sind Elektronikartikel und Musik. Auch Süßigkeiten werden häufig gekauft.
Doch nicht alle sind nur begeistert von dem, was sie zu sehen bekommen. "Braucht ihr wirklich 86 Sorten Salami?" fragt eine Frau aus Ost-Berlin kritisch beim Besuch der berühmten Delikatessenabteilung. Auch die Preise erschrecken viele – und sie steigen in diesen Tagen deutlich an.
Nach dem ersten Ansturm am 10. November fahren die meisten zurück nach Hause in die DDR. Doch die Mauer bleibt offen und das KaDeWe ist weiterhin ein Besuchermagnet für Menschen aus der DDR. 200.000 Besuchende strömen an manchen Tagen im November 1989 durch die Gänge des Luxuskaufhauses. Nie waren mehr Menschen im KaDeWe.