Die Temperaturen liegen nur knapp über Null, als am Abend des 10. Februar 1990 im Kino Kosmos deutsch-deutsche Geschichte geschrieben wird: Die Berlinale kommt in die DDR. Unter rauschendem Beifall feiern die Berliner Filmfestspiele ihre zweite Eröffnung – nach dem Auftakt in West-Berlin nun im Osten der Stadt. So kommt das Kino Kosmos zu seiner Rolle als Gastgeber für Hollywood-Prominenz. Und die Hauptdarstellerinnen trinken vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben Rotkäppchen-Sekt.
Die Hollywood-Stars Sally Fields und Julia Roberts kommen mit ihrem neuen Film "Magnolien aus Stahl" zur Berlinale. Ein Pressetermin führt sie ans Brandenburger Tor. Dort stehen sie auf der Berliner Mauer, die hier eine Stärke von drei Metern misst, und posieren neben DDR-Grenzsoldaten. Wenige Wochen später beginnt hier der Abriss der Grenzmauer. Aber noch ist Berlin geteilt und alle Berlinale-Gäste, die in eines der drei Ost-Berliner Festivalkinos reinschnuppern wollen, reisen dafür formal in die DDR.
Nicht nur der Grenzübertritt markiert die deutsche Teilung bei diesen Filmfestspielen. Das Programmkomitee hat dafür gesorgt, dass die Berlinale 1990 sogenannte Verbotsfilme aus der DDR zeigt. Verbotsfilme, Kellerfilme oder Regalfilme heißen die Produktionen, die entweder nie gezeigt oder direkt nach ihrer Premiere verboten werden. Bei dieser ersten Ost-West-Berlinale laufen sie vor allem in den West-Berliner Filmhäusern.
Während das Publikum im West-Berliner Delphi-Filmpalast einer Podiumsdiskussion über die Verbotskultur der SED-Diktatur folgt, zeigt das Kino Kosmos am selben Tag die aktuelle DDR-Produktion "Coming Out". Der Film mit homosexueller Hauptfigur gilt als Meilenstein der ostdeutschen Filmgeschichte. Der Regisseur musste jahrelang um die Genehmigung ringen. Die Filmpremiere am 9. November 1989 – nicht weit entfernt, im Kino International – ist ausgerechnet mit dem Mauerfall zusammengefallen.
Nun, im Februar 1990, kürt die Jury "Coming Out" zu einem der Preisträger des Festivals und würdigt damit, so die einhellige Meinung, auch die historischen Umstände, nämlich die friedlich gebliebene Grenzöffnung. So ist es nur folgerichtig, dass diese Berlinale in Ost-Berlin den roten Teppich für ihre Gäste aus Hollywood ausrollt, der sonst der Politprominenz am Flughafen Schönefeld vorbehalten war.