Am 31. August 1990 um 13.15 Uhr unterzeichnen Innenminister Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik Deutschland und Staatssekretär Günther Krause für die DDR im Kronprinzenpalais den Einigungsvertrag. Anwesend ist dabei auch das Personal aus der Gastronomie und der Druckerei, die die Verhandlungen begleiteten. Mit der ungewöhnlichen Einladung bedanken sich die Politiker dafür, dass die unterstützenden Kräfte in den vergangenen acht Wochen oft rund um die Uhr gearbeitet haben. 42 Entwürfe haben die Verhandelnden zu Papier gebracht. "Mehrfach waren die Druckmaschinen wegen Überbeanspruchung ausgefallen, die Menschen nie", erinnert sich Schäuble.
Erst elf Stunden vor der Unterzeichnung haben die Delegationen sich auf den endgültigen Wortlaut geeinigt. Letzter Zankapfel ist die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Darüber streiten aber nicht etwa die Delegationen der beiden deutschen Staaten, sondern die Parteien in Bonn. SPD und FDP wollen verhindern, dass Frauen aus dem Westen bestraft werden, wenn sie im Osten eine Schwangerschaft beenden. Dort wäre nämlich zunächst weiterhin das weniger einschränkende DDR-Recht in Kraft.
Dass in Ost und West vorübergehend unterschiedliche Gesetze zur Abtreibung gelten, ist eine Ausnahme. Grundsätzlich soll mit der Wiedervereinigung im gesamten Staatsgebiet das bundesdeutsche Recht wirksam werden. DDR-Gesetze bestehen nur fort, wenn der Einigungsvertrag es ausdrücklich festschreibt. Die frei gewählte DDR-Regierung ist mit dem Versprechen angetreten, eine schnelle Einheit zu verwirklichen. Der schnellste Weg dorthin ist der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, wie ihn das westdeutsche Grundgesetz vorsieht. Ein Land aber, das beitreten will, kleiner ist und von schweren Krisen geschüttelt, hat es schwer, auf Augenhöhe zu verhandeln. Schäuble erinnert sich an seine Worte zum Auftakt der Verhandlungen: "Wir wollen nicht kaltschnäuzig über Eure Wünsche und Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt."
Eine schnelle Einheit erschwert die gründliche Lösung strittiger Punkte. Und von denen gibt es einige. Was passiert mit den Stasi-Akten über Millionen bespitzelte Ostdeutsche? Soll Berlin oder Bonn die gesamtdeutsche Hauptstadt werden? Auf diese Fragen werden erst die Abgeordneten des gesamtdeutschen Bundestags Antworten geben, nachdem am 3. Oktober 1990 die DDR der Bundesrepublik beitritt.