Vor dem Ministerium für Staatssicherheit, der Stasi, stehen am 15. Januar 1990 Tausende, die endlich die Zentrale der Geheimpolizei lahmlegen wollen. Als das Tor von innen aufgeht, gelangt die Menge auf einen dunklen Hof, nur ein Gebäude ist erleuchtet. Dort klirrt brechendes Glas, Papierbögen segeln aus den Fenstern, im Innern sind Türen aufgebrochen. Das einzige erleuchtete Gebäude ist ein Versorgungstrakt. Es gibt dort Geschäfte, einen Friseursalon, ein Kino. Ganz offensichtlich sind dort weder die Führung der Geheimpolizei noch Akten untergebracht. Schnell kommt der Verdacht auf, dass die Geheimdienstler sich vorbereitet haben und die Menge dorthin steuern, wo nichts Bedeutendes zu finden ist. Und dass sie an diesem Abend für die Zerstörungen sorgen, die die friedliche Revolution belasten sollen.
Als "Schild und Schwert der Partei" ist die Stasi das wichtigste Unterdrückungsinstrument der Staatspartei SED. Einer von fünfzig Erwachsenen in der DDR arbeitet für sie. Zwei Drittel davon sind Spitzel, die übrigen sind hauptamtlich für den Geheimdienst tätig. Sie überwachen die Bevölkerung und füllen Akten mit Informationen über Millionen von Menschen. Mit hinterhältigen und gewaltsamen Mitteln bekämpfen sie die Oppositionsgruppen. Gelenkt werden sie aus Berlin-Lichtenberg, 7.000 Menschen arbeiten in dem streng bewachten Hauptsitz.
Anfang Dezember 1989 besetzen von Dresden bis Rostock Oppositionelle gewaltlos die 14 Bezirksverwaltungen der Stasi. Ausgerechnet in der Zentrale kann der Geheimdienst hingegen ungestört weiterarbeiten. Die demokratischen Gruppen in der Hauptstadt haben viel tun, sie wollen Politik für die ganze DDR machen. Am Runden Tisch verhandeln sie mit den Machthabern über freiheitliche Reformen. Sie fordern dort die sofortige Auflösung der Stasi. Die Regierung führt aber noch immer die Staatspartei SED, die auf Verzögerung setzt. Sie hat die Stasi in "Amt für Nationale Sicherheit" umbenannt und behauptet, die Überwacher und Greiftrupps seien ganz normale Staatsdiener. Die demokratischen Gruppen wollen das nicht hinnehmen, einige ihrer Vertreter rufen für den 15. Januar zu einer Demonstration vor der Stasi-Zentrale auf. Am Mittag jenes Tages treffen außerdem Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler aus allen Teilen der DDR dort ein. Sie wollen nicht länger warten, bis ihre Ost-Berliner Mitstreitenden handeln. Seit Wochen vernichtet die Stasi in Lichtenberg Akten, die das Unrecht der Diktatur belegen.
Als die Menge am späten Nachmittag des 15. Januar durch das Haupttor des Ministeriums strömt, sieht es so aus, als sei mit der Zerstörung der Beweise endlich Schluss. Fortan wird die Auflösung der Stasi von engagierten Bürgerinnen und Bürgern überwacht. Sie können jedoch nicht verhindern, dass Stasi-Mitarbeitende weitere Akten vernichten. Dass viele Papiere dennoch erhalten bleiben und seit 1992 über eine neue Behörde für Betroffene einsehbar sind, ist ein großes Verdienst der friedlichen Revolution.