Das Olympiastadion in West-Berlin ist am Nachmittag des 27. Januar 1990 erfüllt von Fan-Gesängen aus Ost und West. Sie feiern und jubeln schon vor dem Spiel und lassen sich auch von dem schmuddeligen Januar-Wetter nicht die Laune verderben. Die Ränge beim Freundschaftsspiel der Zweitligisten sind prall gefüllt. Die Tickets für diesen Tag kosten einheitlich 5 Mark West und 5 Mark Ost. Über 50.000 Fans reisen an, um das erste Derby der beiden Berliner Clubs nach 28 Jahren geteilter Stadt mitzuerleben.
Die Fernsehkommentatoren bescheinigen dem Stadion eine "Länderspiel-Atmosphäre", so freundschaftlich feiern die Stadionbesucher miteinander. Vor, während und nach dem Spiel liegen sich blau-weiß und rot-weiß gekleidete Fans in den Armen. Sie knüpfen damit an eine Fanfreundschaft an, die auch deshalb entstanden ist, weil Hertha BSC im Westen und der 1. FC Union in Ost-Berlin jahrzehntelang in keiner direkten sportlichen Konkurrenz standen. So lautet ein beliebter Sprechchor unter den Fans: "Es gibt nur zwei Meister an der Spree: Union und Hertha BSC". Zum Ärger der Sport- und Parteifunktionäre der DDR drücken sie damit ihre Unterstützung für beide Vereine aus – und ihre Abneigung gegen andere Berliner Clubs, besonders den BFC Dynamo, der als Stasi-Club gilt.
Dass das Spiel 2:1 für die Hertha ausgeht, ist in der Feierlaune der Fans nebensächlich. Ihre Euphorie gilt einem Freiheits- und Gemeinschaftsgefühl. Schließlich schießt sogar ein Profi, der zuvor in der DDR-Liga spielte, das erste Tor für den West-Berliner Club. Ohne den Mauerfall zwei Monate zuvor hätte der Torschütze Axel Kruse nicht auf dem Platz stehen können: Im Sommer 1989 in den Westen geflohen, war er wegen seines bestehenden Vertrags noch gesperrt. Durch die Öffnung der innerdeutschen Grenze konnte Hertha mit Kruses ehemaligem Verein im Dezember 1989 eine Ablösesumme verhandeln und der Stürmer im Januar für Hertha im Olympiastadion auflaufen.
In den kommenden Monaten verlassen zahlreiche Fußballprofis ihre Vereine. In der DDR wies der Staat den Spielern ihren Verein zu. Jetzt können sie selbst bestimmen, wo sie leben und spielen wollen. Viele nehmen Angebote aus der Bundesrepublik an. Von "Ausverkauf" und "Existenzkampf" der DDR-Clubs ist die Rede. Schon beim Rückspiel am 12. August 1990 macht sich die abgekühlte Stimmung bemerkbar. Statt 51.000 Menschen sitzen beim 2:1-Sieg von Union Berlin nur noch etwa 3.500 Fans im Publikum. Letztlich werden beide Vereine im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zu Lokalrivalen. Es wird 29 Jahre dauern, bis beide in einem Erstligaspiel gegeneinander antreten.