Am 18. März 1990 schaut die Welt auf den Palast der Republik. Vor dem DDR-Prachtbau stehen unzählige Satellitenschüsseln. Journalisten aus Deutschland und der Welt berichten über die erste freie Abstimmung zum DDR-Parlament. Das Thema der Wahl: Kommt die Deutsche Einheit schnell oder in kleinen Schritten? Dass sie kommt, bezweifelt kaum noch jemand. Schon seit Monaten rufen die Demonstranten auf den Straßen der DDR: "Wir sind ein Volk" und "Deutschland, einig Vaterland".
Hinter den 24 Parteien und Listen, die sich um die Parlamentssitze bewerben, liegt ein kurzer und intensiver Wahlkampf. Nur sieben Wochen zuvor hat der Runde Tisch, an dem Vertreter der alten und neuen politischen Kräfte Vereinbarungen treffen, die Wahl von Mai auf März vorgezogen. Die Übergangsregierung soll möglichst bald von einer demokratisch gewählten abgelöst werden, denn die Probleme sind groß. Jeden Tag verlassen Tausende die DDR in Richtung Bundesrepublik. Immer neue Details über Misswirtschaft und Umweltzerstörung werden bekannt, ebenso das Ausmaß der Überwachung durch die Staatssicherheit. Die schwere Krise der DDR mit ihrem zerrütteten System und der maroden Wirtschaft machen einen schnellen Zusammenschluss mit dem größeren deutschen Staat immer wahrscheinlicher.
Viele in der DDR, die eine rasche Einheit wollen, setzen ihre Hoffnung auf Helmut Kohl. Der Bundeskanzler hat eine Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Aussicht gestellt. Hunderttausende jubeln ihm zu, als er verspricht: "Keinem wird es schlechter gehen, vielen aber besser!" Auf sechs großen Kundgebungen unterstützt er das Wahlbündnis Allianz für Deutschland, dem auch die ostdeutsche CDU angehört und das für eine schnelle Vereinigung mit der Bundesrepublik eintritt. Zuvor benutzt das Einparteiensystem der DDR Parteien wie die CDU, um einen demokratischen Schein aufrecht zu erhalten. De facto stützen sie alle die Herrschaft der Staatspartei SED. Im Wahlkampf 1990 bekennt sich die ostdeutsche CDU nun offen zur Demokratie und verbündet sich in der "Allianz für Deutschland" mit zwei neu gegründeten konservativen Parteien.
In den Umfragen vorne liegt die SPD. Sie ist aus der Opposition gegen die SED-Diktatur hervorgegangen und spricht sich ähnlich klar für die Einheit aus. Sie baut ebenfalls auf die Schwesterpartei im Westen, doch nicht alles, was von dort kommt, ist hilfreich. So warnen manche westdeutsche Sozialdemokraten vor den Kosten der Wiedervereinigung oder sprechen sich für ein langsames Vorgehen aus. In der Folge setzen viele DDR-Wählerinnen und -wähler lieber auf die CDU.
Schließlich melden die Reporter aus Ost-Berlin: CDU 40,8 Prozent, SPD 21,9 Prozent, PDS (ehemals SED) 16,4 Prozent. Das Wahl-Ergebnis ist ein Triumph für Bundeskanzler Helmut Kohl. Die neue DDR-Regierung erhält damit den Auftrag, die Einheit so schnell wie möglich herbeizuführen. Die "Allianz für Deutschland" bildet eine große Koalition mit der SPD und den Liberalen. Sechseinhalb Monate später, nach angespannter Regierungsarbeit, wird am 3. Oktober der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wirksam. Die Volksvertreter erfüllen das Versprechen einer schnellen staatlichen Einheit, als sie am 23. August 1990 im Palast der Republik für den Beitritt zur Bundesrepublik stimmen. Viel länger wird es dauern, bis Ost und West auch emotional und gesellschaftlich zusammenwachsen.