Revolution

Pressezentrum der DDR

Mohrenstraße mit Häusern am linken Straßenrand. Mittig das heutige Justizministerium mit Säulen im Eingangsbereich.

Bundesministerium der Justiz, 2022.

Entrance area with columns. Parked Trabants and Ladas stand in front of it.

Das Internationale Pressezentrum der DDR, 1983

PRESSEZENTRUM DER DDR

Eine missglückte Pressekonferenz

Obwohl sie eigentlich erst am nächsten Tag veröffentlicht und umgesetzt werden soll, verliest SED-Funktionär Günter Schabowski am 9. November 1989 die neue Regelung für Reisen aus der DDR in den Westen. Bald darauf öffnen sich die Grenzübergänge in Berlin.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Massenflucht und Großdemonstrationen erschüttern seit dem Spätsommer 1989 die Alleinherrschaft der Staatspartei SED in der DDR. Nach dem Rücktritt von Staats- und Parteiführung versucht das höchste Parteigremium unter dem Druck der Proteste auch am 9. November den Eindruck des Reformwillens zu vermitteln. Darüber will mit Günter Schabowski nun erstmals ein ranghoher Funktionär persönlich Auskunft geben. Journalistinnen und Journalisten drängen sich um 18 Uhr im Saal des Internationalen Pressezentrums der DDR in Berlin-Mitte. Sie haben erfahren, dass ein neues Reisegesetz in Vorbereitung ist.

Die SED plant, der DDR-Bevölkerung das Reisen in die Bundesrepublik zu erleichtern. Sie hofft, die Unzufriedenheit im Land damit in den Griff zu bekommen. Was sie nicht plant, ist das Ende der Grenze und der Mauer. Die tödliche Grenze mitten durch Berlin wird weiterhin als notwendige Sicherung für den Fortbestand des Regimes gesehen. Seit 1961 verhindert sie, dass Ostdeutsche frei reisen und so der Überwachung und Gängelung durch die SED entkommen können.

Nach 53 Minuten langatmiger Auskünfte sind einige Journalistinnen und Journalisten schon eingedöst. Dann fragt Riccardo Ehrman, ein italienischer Journalist, endlich nach der Reiseregelung. Schabowski holt umständlich einen Zettel hervor. Parteichef Egon Krenz hat ihm das Papier kurz vor der Pressekonferenz in die Hand gedrückt und gesagt: "Das wird die Weltnachricht." Dabei sind Veröffentlichung und Durchführung der Verordnung erst für den nächsten Tag geplant. Zögerlich liest Schabowski den Journalisten vor: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt." Diese Aussage ist eine Sensation. Aufgeregt fragen Presseleute, wann das in Kraft tritt. "Sofort, unverzüglich", antwortet Schabowski irrtümlich. Er ahnt nicht, was er mit diesen Worten auslöst.

Sogleich verbreitet das westdeutsche Fernsehen die Nachricht. Sie lockt im Laufe des Abends Tausende Ost-Berlinerinnen und Ost-Berliner an die Grenzübergänge. Die Grenzbeamten haben jedoch keine neuen Befehle erhalten und versuchen dem Druck standzuhalten. Um eine Eskalation zu verhindern, geben sie schließlich nach und öffnen zuerst die Grenze an der Bornholmer Straße. "Wahnsinn" sagen viele, die unter den Augen der Weltpresse nach 28 Jahren Teilung in den Westen der Stadt strömen. Der Fall der Mauer beschleunigt den Untergang der DDR. Schabowski bekennt sich später zum Irrtum der SED-Führung: "Es stellte sich heraus, wie sehr wir das Bedürfnis der Menschen unterschätzt hatten."

PRESSEZENTRUM DER DDR

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Der DDR-Politiker Günter Schabowski öffnet am 9. November versehentlich die Grenze. Wie es dazu kommt, daran erinnern sich Schabowski und der Journalist, der die entscheidende Nachfrage stellt.

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Intro
Günter Schabowski verliest die neuen Reiseregelungen.
Peter Brinkmann stellt die entscheidenden Nachfragen.
Günter Schabowski erklärt, was damals schief gelaufen ist.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

DDR-Pressezentrum

Journalistinnen und Journalisten versammeln sich am Abend des 9. November 1989 im Internationalen Pressezentrum der DDR. Eines von vielen Themen der Pressekonferenz: die neue Reisefreiheit für Menschen aus der DDR. Was hier passiert, führt dazu, dass später in der Nacht Tausende über die Grenze in den Westen strömen.

ZEITZEUGE

Günter Schabowski

Günter Schabowski ist im November 1989 Sekretär für Informationswesen. In dieser Funktion verkündet er vor der Presse irrtümlich, die neuen Reiseregelungen würden ab sofort gelten.

"Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen – Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse – beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VP – der Volkspolizeikreisämter – in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen."

ZEITZEUGE

Peter Brinkmann

Peter Brinkmann, Journalist der westdeutschen Boulevard-Zeitung Bild, ist bei der historischen Pressekonferenz dabei. Ihn interessieren die neuen Reiseregelungen. Doch Günter Schabowski verwirrt die Zuhörenden mit seinen Ausführungen. Da stellt Brinkmann die entscheidenden Nachfragen.

"Wenn du lang genug in diesem Business bist, heißt das, du musst irgendwas Prägnantes rufen. Mikrofone stehen ja vorne, deswegen habe ich da gesessen. Und dann ruf ich 'Ab sofort!' und zwar mit einer schneidenden Stimme. Was man ja deutlich hört. Und dann reagiert er. Und dann guckt er in seinem Papier und da steht das Wort auch: 'Ab sofort'. Das steht nämlich unter Punkt 2a auf diesem Zettel. Da steht: 'Ständige Ausreisen können sofort erfolgen'. Das heißt, wer die DDR verlassen will, kann das jetzt sofort machen. Der kann zur Grenze gehen. Was die Grenzer denn ja auch so gemacht haben, die haben ja die Ausweise ungültig gestempelt, weil sie dachten, Ausreise ist da mit drin. Und in 2b steht erst Privatreisen. Das liest er denn auch vor. Da kommt er aber nicht weit, weil da wieder das Wort, 'Müssen genehmigt werden', steht. Aber das Genehmigen bezog sich auf die Beantragung des Passes. Das heißt, er brachte alles durcheinander. Und dadurch, dass ich denn noch zweimal gefragt habe: 'Gilt das auch für West-Berlin?' Zweimal frag ich nach, liest er dann auch vor 'Gilt für West-Berlin'. Das war das zweite Entscheidende: Ab sofort und West-Berlin."

ZEITZEUGE

Günter Schabowski

Günter Schabowski erklärt später, im Jahr 2005, warum die Grenztruppen nichts von der neuen Reisefreiheit wussten.

"Und dann zum Schluss komme ich in dem Frage-Antwort-Spiel mit den Journalisten auf diesen Punkt und sage: 'Ich kann Ihnen mitteilen, heute hat der Ministerrat eine Entscheidung getroffen, die so und so aussieht' und lese sie vor. Und dann gab es nochmal ein paar Fragen: Wofür? Für West-Berlin auch? Und so weiter. Und das war es dann. Nur als ich es vorlas, wussten die an der Grenze noch nichts davon, weil der Ministerrat es um 19 Uhr im Umlaufverfahren entscheiden sollte. Also mit ohne Einwände ist es um 19 Uhr gelaufen, jeder schickt sein Ding wieder an die Zentrale sozusagen. Und dann sollte die Befehls-, die Informationsmaschinerie weitergehen an die Grenzübergangsstellen und so weiter. So ist es dazu gekommen: Ich teile es mit und die wissen davon nichts. Das hat eine unendlich dramatische Situation geschaffen. Es hätte zu Schießereien kommen können und dergleichen. Was verhindert hat, dass es zu einer Eskalation kam, ist der Umstand, dass dieses Regime schon so zerrüttet war in seiner Erscheinung, dass die Soldaten dort an der Grenze sagten: 'Was denn? Jetzt kommen die Leute da an, die stehen hier alle und sagen, wir sollen sie durchlassen.' Und die haben ihnen zugerufen: 'Heute im Fernsehen! Schabowski hat da diese Mitteilung gemacht.' Und dann haben die gesagt: 'Na also dann wird da wahrscheinlich irgendwas dran stimmen. Das geht ja alles drunter und drüber, bevor wir uns hier in die Brennnesseln setzen, hoch der Schlagbaum.' So ist das passiert."
 

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