Transformation

Reichstag

Das Dach mit der Kuppel des Reichstags ragt hinter einem modernen Regierungsgebäude hervor. Vorne verläuft die Spree, die von einer Brücke überspannt wird. Links steht ein verlassener Wachtturm der Berliner Mauer, dahinter die Spree und das Reichstagsgebäude.

Der Reichstag 2022 und das Gebäude 1990, im Vordergrund ein Wachturm der Berliner Mauer.

REICHSTAG

Eine Kuppel für die Hauptstadt

Berlin und das Reichstagsgebäude warten vierzig Jahre lang darauf, endlich wieder das Parlament zu beherbergen. Als dies ab 1989 möglich erscheint, setzt sich die Metropole nur knapp gegen das kleine Bonn durch.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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"Ein freies und geeintes Parlament in einem freien und geeinten Berlin, in einem freien und geeinten Deutschland – welch ein Tag in der parlamentarischen Geschichte unseres Landes!" So feiert Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth am 4. Oktober 1990 die erste Sitzung des Bundestags nach der Wiedervereinigung im Reichstagsgebäude. Allerdings sitzen Volksvertretung und Regierung immer noch in der Bundeshauptstadt Bonn. Erst der neu zu wählende Bundestag soll darüber abstimmen, in welcher Stadt Deutschland in Zukunft regiert wird – in Bonn oder in Berlin.

Bonn? Die kleine und bescheidene Hauptstadt der alten Bundesrepublik? Vier Jahrzehnte lang war es die offizielle Politik der Bundesregierung und der anderen westlichen Staaten, Berlin als die eigentliche deutsche Hauptstadt zu betrachten. Bonn galt als Übergangslösung. Deshalb stellt sich für viele die Hauptstadtfrage überhaupt nicht. Der Westen des Landes aber hat viel Gewicht und bringt sie auf die Tagesordnung. Die Entscheidung ist offen und umstritten. Unterstützer für Bonn oder Berlin finden sich im Bundestag aus allen Parteien und Regionen zusammen.

In der Debatte am 20. Juni 1991 kämpfen beide Seiten um die vielen Unentschiedenen unter den 662 Abgeordneten. Die Bonn-Befürwortenden erinnern an die Verdienste der Stadt für die westdeutsche Demokratie, loben ihre Bescheidenheit und warnen vor den Kosten. Team Berlin betont, dass die Lasten der Einheit auf Ost und West verteilt sein müssten. Auch die alten Länder sollten verzichten und die Regierung nach Berlin ziehen lassen. Der Ost-Berliner Wolfgang Thierse, SPD, sagt: "Die Entscheidung für Berlin wäre ein durch nichts – durch nichts! – zu ersetzender Schritt zur Verwirklichung der politischen, sozialen, menschlichen Einheit Deutschlands."
Mit nur 18 Stimmen Mehrheit macht Berlin das Rennen. Für das Reichstagsgebäude bedeutet das einen weiteren Umbau. Seit 1971 steht es für ein gesamtdeutsches Parlament bereit, gilt aber als zu klein und nicht mehr zeitgemäß. Den Wettbewerb für den Umbau gewinnt Norman Foster. Der britische Architekt schlägt 27 verschiedene Dachaufbauten vor, der Bundestag wählt schließlich eine Kuppelform zwischen Alt und Neu. Zu verdanken ist diese Lösung vor allem dem früheren Bundesbauminister Oscar Schneider, der die Abgeordneten von der Symbolkraft einer Kuppel überzeugt.

Vor der Umsetzung der Pläne erleben Berlin und fünf Millionen Schaulustige die Verhüllung des Reichstags. Im Juni und Juli 1995 packen ihn die Künstler Christo und Jeanne-Claude in glänzende Stoffbahnen. Über zwanzig Jahre hatten sie für das Projekt gekämpft und schließlich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür gewonnen. Die Aktion, die von Besucherinnen und Besuchern aus dem In- und Ausland begeistert aufgenommen wird, markiert den Beginn eines neuen Blicks auf den Reichstag und das ganze Land.

Das Reichstagsgebäude erhält eine ganz neue Innengestaltung und Silhouette. 1999 übernimmt der Bundestag sein neues altes Haus. Seitdem prägt die gläserne Kuppel auf dem Dach des Gebäudes das Stadtbild. Neben einer symbolischen hat sie praktische Funktionen und versorgt den unter ihr gelegenen Plenarsaal mit Licht und Luft. In der Kuppel windet sich ein Weg für Besuchende empor. Ein Ort in Berlin, der viele Menschen anzieht.

REICHSTAG

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Wo soll die Regierung und das Parlament sitzen? Berlin kann sich in der Abstimmung nur knapp gegen Bonn behaupten. Zwei Abgeordnete und ein Ost-Berliner berichten, warum für sie nur Berlin in Frage kam.
 

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Intro
Norbert Blüm setzt sich für Bonn als Hauptstadt ein.
Oscar Schneider ist als einziger aus der CSU für Berlin.
Claudia Roth sieht in der Wahl Berlins ein klares Zeichen.
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REICHSTAG

Bonn oder Berlin? Von wo soll das wiedervereinigte Deutschland regiert werden? Die Meinungen gehen weit auseinander. Nur knapp setzt sich die Metropole an der Spree 1991 im Bundestag gegen das kleine Bonn am Rhein durch. Parlament und Regierung kehren nach Berlin zurück. Das Parlament tagt im modernisierten Reichstagsgebäude.

ZEITZEUGE

Norbert Blüm

Norbert Blüm tritt in der Bundestagsdebatte zur Frage des Regierungssitzes als erster Sprecher ans Rednerpult. Der damalige Arbeitsminister von der CDU plädiert für Bonn.

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Kompromiss und Konsens versucht; er ist uns nicht gelungen. Wir müssen uns entscheiden; wir wollen uns entscheiden. Mit Bonn verbindet sich der demokratische Neuanfang unserer Geschichte. Mit Bonn verbindet sich die friedlichste und freiheitlichste Epoche unserer Geschichte. Sie soll nie zu Ende gehen. Mit Bonn verbindet sich Westintegration, die Grundlage für die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft freier Völker. Bonn hat nicht seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Mit Berlin zusammen steht Bonn für eine freiheitliche und friedliche Zukunft unseres Landes. Sie haben das Wort, Sie haben die Entscheidung. Wir bitten Sie um die Zustimmung zu unserer bundesstaatlichen Lösung."

ZEITZEUGE

Oscar Schneider

Für den ehemaligen Bundesbauminister Oscar Schneider ist Berlin die selbstverständliche Hauptstadt. 1991 ist er der Einzige in der CSU, der für den Umzug stimmt. Für die Bonn-Begeisterten hat er, wie er sagt, auch rückblickend wenig Verständnis.

"Nachdem der Deutsche Bundestag 1949 und zur späteren Zeit immer wieder erklärt hat: Bonn ist Provisorium, Berlin ist die deutsche Hauptstadt, und wenn es die geschichtlichen Verhältnisse erlauben, werden die obersten Bundesorgane nicht in Bonn, sondern in Berlin residieren. Ich war sehr erstaunt, als die Stunde da war, dass es Leute gegeben hat, die haben gesagt: Wir bleiben in Bonn! Also ich war von Anfang an entschieden für den Umzug. Ich war entschieden für Berlin, und ich bin der einzige CSU-Mann, der im Rubrum des Antrags für Berlin steht. Ich muss gestehen, dass ich damals nicht nur freundliche Worte gekriegt habe. Ich habe mit einem uralten Freund deswegen am Abend des 21. Juni 1991 eine äußerst heftige Auseinandersetzung gehabt. Und die Sache ist eigentlich nie mehr ganz geheilt, weil ich es für unerträglich gehalten habe, dass man, aus welchen persönlichen Gründen auch immer, sich da nicht für Berlin entscheiden konnte."

ZEITZEUGIN

Claudia Roth

Claudia Roth sitzt zu der Zeit, als die Hauptstadt-Entscheidung fällt, für die Grünen im Europäischen Parlament. Sie erzählt, warum sie die Wahl Berlins damals begrüßt und sieht in dieser ein klares Zeichen.

"Es war wichtig, nach Berlin zu gehen, als Signal, und das hat Kohl immer so verstanden, eines vereinigten Europas. Die Ostgrenze dieses Europas war ja nicht Deutschland für ihn. Mit Berlin ist auch die Öffnung in die osteuropäischen Nachbarstaaten als Symbol deutlicher geworden."

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REICHSTAG

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