Auf der einen Seite Anzug und Krawatte, auf der anderen Halstücher, handgestrickte Wollpullover und Vollbärte. Auf den dicken Teppichen des edlen Konferenzsaals des Schlosses Schönhausen treffen Ende 1989 zwei Welten aufeinander. Die bislang uneingeschränkt herrschende Staatspartei SED und die ihr bisher untergeordneten Blockparteien kommen mit neuen politischen Gruppen ins Gespräch.
Die Bürgerrechtsgruppe Neues Forum oder die SPD der DDR sind im September und Oktober 1989 entstanden, als immer größere Proteste die Macht der SED in Frage stellen. Die Gegner des Regimes wagen es nun, offen aufzutreten und sich zu organisieren. Am 9. November 1989 fällt die Mauer. Der DDR laufen die Menschen nun noch schneller weg, die Staatspartei verliert einen Großteil der Mitglieder. Aber die Staatssicherheit, die Geheimpolizei, die die Ostdeutschen überwacht, arbeitet immer noch. Unverändert steht der Regierung ein SED-Vertreter vor. Das Regime ist beschädigt, aber nicht besiegt. Wie soll es weitergehen?
Die Proteste verschaffen den Oppositionsgruppen viel Aufmerksamkeit. Sie regen an, sich überall im Land mit den alten Machthabern an sogenannte Runde Tische zu setzen. Gemeinsame Absprachen und Entscheidungen sollen Gewalt verhindern und demokratische Wahlen vorbereiten. Besonders wichtig ist der Zentrale Runde Tisch in Ost-Berlin, der für sich beansprucht, die DDR-Regierung zu kontrollieren. Je 17 Vertreter der Opposition und der Regierungsparteien treten am 7. Dezember 1989 zunächst im Kirchsaal des Bonhoeffer-Hauses in Berlin-Mitte zusammen, drei Pfarrer moderieren die Gespräche. Später wechselt das Gremium ins Schloss Schönhausen nach Berlin-Pankow. Dort ist mehr Platz für die vielen Berater und Journalisten. Fernsehen und Radio der DDR übertragen die Diskussionen des Zentralen Runden Tischs live. "Alles war öffentlich. Und das war eine neue Erfahrung!", erinnert sich eine Teilnehmerin.
In der unklaren Lage kann der Runde Tisch nur empfehlen, nicht beschließen. Noch dazu soll er eine Regierung kontrollieren, die das nicht will. Dann fordern im Januar 1990 viele Tausende die sofortige Auflösung der Staatssicherheit. Das gleiche verlangt der Runde Tisch, doch zögert die Regierung die Umsetzung hinaus. Sie versucht, die neuen Kräfte von der Macht fernzuhalten. Unter dem Druck der Proteste gibt sie widerwillig nach. Vertreter der Opposition treten als Minister ohne Geschäftsbereich in die Regierung ein, die für Mai geplanten Wahlen werden auf den 18. März 1990 vorgezogen. Der Teilnehmer Matthias Platzeck, damals Grüne Liga: "Für mich ist der Runde Tisch ein Instrument gewesen, das, was möglich war, zu tun, um einen Umbruch, der eigentlich gar nicht gestaltbar ist, wenigstens zu bündeln und immer wieder zu sagen, 'macht es bitte ohne Gewalt'."
Mit der ersten freien und geheimen Wahl eines neuen DDR-Parlaments ist der Übergang zur Demokratie erreicht, die Arbeit des Runden Tisches endet. Die Wahl ergibt eine klare Mehrheit für die Befürworter einer schnellen deutschen Einheit. Der 3. Oktober 1990 wird zum Tag der Deutschen Einheit.