Revolution

Ständige Vertretung

Das ehemalige Gebäude der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR mit einem modernen roten Anbau an der rechten Seite.

Der Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2022.

Links das Gebäude der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR. Rechts ein Gebäude mit Kaffee-Eck und einem vorbeifahrenden Trabi im Vordergrund.

Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR (links), 1980.

STÄNDIGE VERTRETUNG

Zuflucht bei Bonns Diplomaten

Im August 1989 kampieren in der diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin über hundert Ostdeutsche. Sie sind Teil einer Fluchtbewegung, die die DDR kurz vor ihrem Ende erschüttert.

DIE GESCHICHTE HÖREN

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Wo sonst Beamte ihrem Dienst nachgehen, herrscht im August 1989 Ausnahmezustand. Überall in der Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin kampieren Menschen dicht an dicht auf Matratzen. Die gut 130 Ostdeutschen wollen die DDR verlassen und hoffen, dass die westdeutschen Diplomaten ihnen dabei helfen. Um weiteren Andrang zu verhindern, schließt die Ständige Vertretung am 8. August 1989 ihre Türen. Die Vertreter Bonns stehen nun vor ganz praktischen Aufgaben. Eberhard Grashoff, damals Pressesprecher der Ständigen Vertretung, erinnert sich: "Wir haben vom Spielzeug bis zum Milchpulver alles Mögliche gekauft, es kamen Psychiater, Angestellte gaben Englischunterricht oder hielten Vorträge zu Rechtsfragen im West-Alltag. Wir haben alles improvisiert. Und saßen in der Festung."

Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR besteht seit 1974. Eine ihrer Aufgaben ist es, Reisen zwischen Ost und West zu erleichtern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören auch jenen zu, die die DDR für immer verlassen wollen. Ihre Ausreise müssen sie offiziell beantragen, die Bearbeitung dauert Jahre. Die Antragsteller erleiden Schikanen und erhalten oft eine Ablehnung. Die Diplomaten können wenig für sie tun. Zumindest fragen sie bei der DDR nach, ob Ausreiseanträge auch wirklich bearbeitet werden.

Einige Ausreisewillige begnügen sich damit nicht. Erstmals 1975 – und danach immer wieder – weigern sich Besucher der Vertretung, das Haus in der Hannoverschen Straße wieder zu verlassen. Sie fordern, sofort in den Westen zu gelangen. Ost und West verhandeln darüber, was aus ihnen werden soll. Sie vereinbaren, dass ein Rechtsanwalt, der als Vertrauensmann der DDR-Regierung auftritt, den Menschen in der Vertretung die baldige Ausreise zusichert. Allerdings sollen sie zunächst in ihre Wohnorte zurückkehren und dort einen ordentlichen Ausreiseantrag stellen. Fortan überzeugen Mitarbeiter der Vertretung die Ausreisewilligen, diesen Weg zu gehen. Die DDR hält die Zusagen stets ein.

Die Zahl der Menschen, die die DDR verlassen wollen, steigt 1989 dramatisch. DDR-Stellen bewilligen allein 100.000 Ausreiseanträge. Viele mehr suchen nach anderen Wegen aus dem Mauerstaat. Ein Fluchtpunkt ist die Ständige Vertretung. Die Behörden der beiden deutschen Staaten handeln wie gewohnt. Ab Anfang September reisen die dort Untergekommenen nach dem eingeübten Verfahren aus der DDR aus. Doch das ist nur der Anfang. Tausende kommen im Spätsommer in die bundesdeutschen Botschaften in Prag, Warschau und Budapest. Die DDR-Führung entscheidet, die Menschen in den Westen zu entlassen. Sie hofft, dadurch die politische Lage zu stabilisieren. Stattdessen zeigt die Massenflucht, wie wenig Vertrauen viele Ostdeutsche in die DDR-Führung haben. Die Abstimmung mit den Füßen trägt maßgeblich dazu bei, die SED-Herrschaft ins Wanken zu bringen.

STÄNDIGE VERTRETUNG

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten

Immer mehr Menschen wollen 1989 die DDR verlassen. Einige erhoffen sich Unterstützung durch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik. Der Kanzleramtsminister muss die Ständige Vertretung wegen Überfüllung schließen. Er erinnert sich an den Sommer 1989 zurück.

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Intro
Barbara Große versucht, einen Weg aus der DDR zu finden.
Rudolf Tschäpe kritisiert die Ausreisewilligen.
Rudolf Seiters will ein Lösung für die Kampierenden finden.
Erinnerungen hören Erinnerungen lesen

Ständige Vertretung

Immer wieder wenden sich Menschen, die die DDR verlassen wollen, an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Sie hoffen auf Unterstützung für ihren Ausreisewunsch. 1989 nimmt ihre Zahl massiv zu. Mehr als 130 Ostdeutsche kampieren im Spätsommer im Gebäude und wollen so ihre Ausreise erzwingen. Wegen Überfüllung muss die Ständige Vertretung am 8. August ihre Türen schließen.

ZEITZEUGIN

Barbara Große

Auf der Suche nach einem Weg aus der DDR wendet sich Barbara Große 1976 an die Ständige Vertretung. Gerüchte über das ungewisse Schicksal von Ausreisewilligen beunruhigen sie.

"Wir haben immer wieder neue Anträge gestellt und dann bin ich im Rahmen unserer Ausreiseanträge auf die Ständige Vertretung nach Ost-Berlin gefahren. Einfach um zu sagen: 'Hier bin ich. So heiße ich. Die Anträge haben wir gestellt. Ich möchte, dass Sie wissen, dass wir existieren und ich werde regelmäßig kommen.' Weil es auch hieß, dass Antragsteller einfach weggeschnappt wurden und irgendwie verschwunden waren. Das waren Gerüchte. Ich kenne da keinen persönlich, aber man wird ja hellhörig, die Antennen fahren ja aus."

ZEITZEUGE

Rudolf Tschäpe

Als Mitglied der Bürgerbewegung Neues Forum und der Kirche will Rudolf Tschäpe in den späten 1980er Jahren die DDR reformieren. Für die Ausreisewilligen hat er zunächst kaum Verständnis.

"Innerhalb der Kirche gab es auch noch Gruppierungen, mit denen man zusammenkam, die den Anspruch hatten: Wir sind die Ausreisewilligen. Natürlich gab es da kontroverse Diskussionen, weil wir meinten, wir müssten hierbleiben, also in der DDR bleiben, und diesen Staat reformieren. Und sie fehlten uns ja, wenn sie weggingen. Unsere Kraft würde schwächer werden, wenn sie weggingen, schwächer werden dafür, diese Reformen mit durchzudrücken. Das war sicher ein Irrtum. Denn die Tatsache, dass sehr viele weggingen bewirkte eine größere Erosion des Staates als wenn sie hiergeblieben wären."

ZEITZEUGE

Rudolf Seiters

Der Kanzleramtsminister der Bundesrepublik Rudolf Seiters ist für die Ständige Vertretung in Ost-Berlin zuständig. Im August 1989 verhandelt er mit DDR-Politikern. Er will verhindern, dass die Ständige Vertretung längere Zeit wegen Überfüllung geschlossen werden muss.

"Wir haben ein Vertretungsrecht für alle Deutschen, wir bauen keine Mauern um unsere Botschaften, und wir setzen auch niemand auf die Straße. Das Problem ist entstanden in der DDR, und die DDR muss dieses Problem selber lösen, wenn sie sich nicht international weiter isolieren will. Ich bin nach diesem Gespräch in die Ständige Vertretung gefahren. Das war eines meiner bewegendsten Erlebnisse, das Gespräch mit Flüchtlingen, denen ich sagen musste, dass meine Mission bis dahin noch nicht erfolgreich gewesen sei. Die Menschen haben mir in unglaublich persönlichen, anrührenden Gesprächen gesagt, wie ihre persönliche Situation sei: Es sei unerträglich, und sie würden nicht wieder zurückkehren in die DDR und wenn sie noch lange, lange in der Ständigen Vertretung bleiben müssten."

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