"Wenn der sogenannte West-Besuch durch diesen Tränenpalast wieder nach Hause fuhr, wusste man nie ganz genau, ob man sich wiedersehen wird", erinnert sich Angela Merkel, Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021, an die Abschiede von ihrer Großmutter am Bahnhof Friedrichstraße. Der ist seit dem Mauerbau 1961 ein Grenzübergang. Während die übrigen Bahnhöfe in Grenznähe gesperrt sind, verkehren hier noch Züge in den Westteil der Stadt.
Die Menschen, die in den Westen reisen, werden von den Grenzbeamten besonders streng kontrolliert. Dafür braucht es Platz. Nördlich des Bahnhofs entsteht 1962 ein Bau, der zunächst dem Empfang dienen soll, dann aber für die Abfertigung Ausreisender genutzt wird: der Tränenpalast. Diesen Namen trägt er wegen der vielen Abschiedstränen, die die Menschen vor dem Gebäude vergießen. In der Halle stehen enge Kabinen, in denen die Reisenden den wortkargen Kontrolleuren den Pass vorlegen. Ein ehemaliger Grenzbeamter gibt zu: "Wir haben auch ein bisschen schikaniert, willkürlich ausgesucht und starke Kontrollen gemacht." Nach der Pass-Sichtung gehen die Reisenden einen Gang entlang hinüber ins Bahnhofsgebäude. Durch ein Labyrinth aus Treppen und Passagen erreichen sie einen der Bahnsteige. Von dort fahren S-Bahnen oder Züge nach Westen. Über die Jahre passieren immer mehr Menschen diesen Übergang, allein 1988 sind es etwa 10 Millionen. Im Jahr darauf fällt die Mauer, am 1. Juli 1990 enden die Kontrollen. Niemand ist mehr den Ängsten und der Bedrückung ausgesetzt, die der Tränenpalast bis dahin auslösen konnte.
Noch vor der Wiedervereinigung stellt die erste frei gewählte DDR-Regierung den Tränenpalast unter Denkmalschutz. Das leerstehende Gebäude mietet ein Kulturunternehmer vom Land Berlin, Kleinkünstlerinnen und Weltmusiker treten auf. Die benachbarte Freifläche an der Friedrichstraße verkauft der Berliner Senat im Jahr 2000 an einen Investor, der später auch den Tränenpalast übernimmt. Historikerinnen und Historiker regen an, dort zu vermitteln, wie die deutsche Teilung den Alltag prägte. Die Stiftung Haus der Geschichte erarbeitet dazu eine Ausstellung, die zudem die friedliche Revolution und den Einigungsprozess erfahrbar macht. So wird 2011 aus dem Ort der Teilung ein Ort der Erinnerung. Im Besucherbuch steht: "Alles hier Gezeigte hat mich emotional sehr berührt, da viele Dinge, die ich schon glaubte, verarbeitet zu haben, wieder hochkommen. Die Enge, der Druck, das ganze diktatorische Gehabe, der Zwang … Gut, dass dieses überwunden ist!"